heliozentrisches Weltbild

heliozentrisches Weltbild
heliozentrisches Weltbild
 
»In der Mitte aber von allen steht die Sonne. Denn wer möchte in diesem schönsten Tempel diese Leuchte an einen andern oder bessern Ort setzen, als von wo aus sie das Ganze zugleich erleuchten kann?. .. So lenkt in der Tat die Sonne, auf dem königlichen Throne sitzend, die sie umkreisende Familie der Gestirne.« Diese neuen Ideen veröffentlichte Kopernikus in seinem Hauptwerk »Von den Umdrehungen der Himmelssphären«, erschienen 1543 in Nürnberg. Angeregt von antiken Quellen, besonders von Aristarch von Samos, gab er der Sonne statt der Erde den Platz im Zentrum des Kosmos.
 
Nikolaus Kopernikus, der eigentlich Kopernigk hieß, war aber nicht nur Astronom, sondern ein vielseitiger Renaissancegelehrter: Nach seinem Studium der freien Künste in Krakau, das damals eines der bedeutendsten europäischen Zentren der Wissenschaften war, ging er 1496 nach Italien, um in Bologna und Padua Jura und Medizin zu studieren. 1503 promovierte er in Ferrara in Kirchenrecht, am bekanntesten war Kopernikus bei seinen Zeitgenossen allerdings als Arzt. Neben seinen Verpflichtungen als Domherr in Frauenburg amtierte er im Auftrag des ermländischen Bischofs als Verwalter des Ermlandes in Allenstein und führte sogar Friedensverhandlungen mit dem Deutschen Orden. Zudem verfasste Kopernikus ökonomische Schriften zur Reform des preußischen Münzwesens. All dies ist heute in Vergessenheit geraten, unbedeutend im Vergleich zu dem Umsturz im Weltbild, den er herbeiführte.
 
 Das alte und das neue Weltbild
 
In der Antike waren zwei Weltsysteme entwickelt worden, bei denen die Erde das Zentrum des Universums bildete; sie behielten auch noch im Mittelalter ihre Gültigkeit. Für den griechischen Philosophen Aristoteles ruhte die Erde inmitten von konzentrischen Kugelschalen, in die die sieben Planeten, zu denen auch Sonne und Mond gehörten, eingelassen waren. Diese Äther-Kugelschalen existierten für ihn als physikalische Realität. Um die Schleifenbahnen der Planeten am Himmel besser erklären zu können und um größere Übereinstimmung mit den Beobachtungen zu erreichen, erdachte sich Claudius Ptolemäus im 2. Jahrhundert n. Chr. ein mathematisches Modell: Unter Verwendung komplizierter, teils exzentrischer Kreisbewegungen, Epizykel, konnte er mit seinem geozentrischen Weltsystem die Planetenbewegungen vorausberechnen.
 
Kopernikus strebte ein harmonisches Weltbild an, das heißt, er versuchte, wieder eine Einheit zwischen dem mathematischem Modell und der physikalischen Realität herzustellen. Besonderen Wert legte er dabei auf die Einhaltung der beiden antiken Voraussetzungen, wie sie von Platon erhoben worden waren: Die himmlischen Körper sollten sich nur auf Kreisbahnen und zudem nur mit gleichmäßiger Geschwindigkeit bewegen können. Die entscheidenden neuen Ideen waren bereits im etwa 1510 entstandenen »Commentariolus« des Kopernikus enthalten, doch bis zur Veröffentlichung des Hauptwerks dauerte es noch über 30 Jahre. Der deutsche Astronom Georg Joachim Rheticus, der Kopernikus in Frauenburg besuchte, verfasste 1540 einen ersten Bericht, seine »Narratio prima«, über das neue Weltsystem. Schließlich überredete er Kopernikus, sein Werk zu veröffentlichen.
 
 Wirkung und Durchsetzung des neuen Weltbilds
 
Das neue Weltbild des Kopernikus, das allerdings auch nicht ohne die komplizierten Epizykel auskam, führte bald zu theologischen und philosophischen Auseinandersetzungen. Zudem wurde die Berechnung der Planetenpositionen aufgrund der heliozentrischen Lehre weder genauer, noch war diese physikalisch oder astronomisch überprüfbar.
 
Das schärfste Argument gegen Kopernikus war das Fehlen einer Fixsternparallaxe, einer scheinbaren Verschiebung der Stellung der Fixsterne aufgrund der sich ändernden Perspektive des Beobachters, die sich durch die Bewegung der Erde um die Sonne ergibt. Da diese Veränderung der Fixsternörter aber selbst von Tycho Brahe, dem Meister der astronomischen Messkunst, mit den damaligen Instrumenten nicht festgestellt werden konnte, hätten die Fixsterne ungeheuer weit entfernt sein müssen. So hatte es Kopernikus auch angenommen, aber Brahe hielt dies für unvorstellbar oder zumindest für eine unbegründete Annahme. Daher entwickelte er 1588 ein neues, ein geoheliozentrisches Weltbild: Die anderen Planeten bewegen sich um die Sonne, aber mit der Sonne um die Erde, die ihren Platz im Zentrum behielt.
 
Solange es keine physikalische Begründung für die Bewegungen der Himmelskörper gab, konnte dieses Weltsystem die Beobachtungen genauso gut beschreiben. Im Wortsinne bahnbrechend wirkte Brahes Erkenntnis, dass es keine festen Kugelschalen im Himmel gibt. Er hatte bei der Beobachtung eines Kometen festgestellt, dass eine Bahn quer durch verschiedene Sphären verlief. Diese Zerschlagung der Sphären bedeutete eine Öffnung des Himmels und führte den italienischen Naturphilosophen Giordano Bruno konsequent zur Idee der Unendlichkeit. Sein Gedanke von der Vielheit der Welten wurde im 18. Jahrhundert besonders populär und führte zu vielfachen Spekulationen, dass es unendlich viele Sonnen mit Planetensystemen gebe.
 
Doch soll hier die heliozentrische Idee weiterverfolgt und die Frage geklärt werden: Welches Weltbild entsprach nun der Wirklichkeit und wie verlief die Durchsetzung?
 
Im Jahrhundert nach Kopernikus verbesserte der deutsche Astronom Johannes Kepler das neue System, indem er Ellipsenbahnen statt Kreisen oder Sphären einführte und sich auch von dem antiken Dogma der gleichförmigen Bewegung löste. Kepler setzte die Sonne in den einen Brennpunkt der Ellipse statt ins Zentrum eines Kreises und konnte damit erstmals die Planetenörter genau berechnen. Doch zu allgemeiner Anerkennung in der Öffentlichkeit gelangten die kopernikanischen Ideen damals noch nicht. Im Gegenteil - nachdem sich in protestantischen Kreisen schon Mitte des 16. Jahrhunderts Ablehnung gezeigt hatte, formulierten die Theologen der katholischen Indexkommission am 24. Februar 1616: »Zu behaupten, die Sonne stehe unbeweglich im Mittelpunkt der Welt, ist absurd, philosophisch falsch und außerdem ketzerisch, weil es ausdrücklich der Heiligen Schrift zuwider ist.« Diese Ablehnung erfuhr auch der Italiener Galileo Galilei, der ebenfalls versuchte, Beweise für das heliozentrische System zu finden. Sein »Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme« wurde noch im Erscheinungsjahr 1632 auf kirchlichen Befehl wieder eingezogen. Hier bot das Weltbild von Brahe, das die Erde im Zentrum beließ, einen günstigen Kompromiss zwischen altem und neuem Weltbild. So war Brahes Weltbild im 17. Jahrhundert verbreitet und wurde vonseiten der Kirche, besonders von den Jesuiten, favorisiert, da es Widersprüche zur Bibel vermied. Eine physikalische Grundlage für die Bewegung der Planeten um die Sonne als Gravitationszentrum schuf erst Isaac Newton im Jahre 1687. Damit konnte sich, obwohl der Nachweis der Erdbewegung noch fehlte, die heliozentrische Idee im 18. Jahrhundert durchsetzen.
 
 Ein Staubkorn im All
 
Kopernikus machte den Menschen zur Randfigur im Weltall; der Philosoph Friedrich Nietzsche klagte sogar: »Seit Kopernikus rollt der Mensch aus dem Zentrum ins x«, ins Unbestimmte also. Doch nicht genug damit - im 20. Jahrhundert rückte der Mensch noch mehr an den Rand. Um 1920 versetzte der amerikanische Astronom Harlow Shapley in einer »zweiten Revolution« unsere Sonne an den Rand der Milchstraße. So wurde der Mensch im Laufe der Geschichte vom zentralen Platz im Kosmos vertrieben und immer weiter an den Rand gedrängt: Unsere Sonne ist ein winziger leuchtender Punkt am Rande der Milchstraße, und die wiederum ist nur eines unter zahllosen anderen Sternsystemen in einem unbegrenzten All.
 
Dr. Gudrun Wolfschmidt

Universal-Lexikon. 2012.

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